Mittwoch, 30. August 2017

Zurück zur Zivilisation (Lappland/Kungsleden 6/6)

Teusajaure
[Donnerstag, 27.7.2017; Teusajaure - Vakkotavare; 16 km] Bereits brach der letzte Wandertag an. Wir standen früh auf, denn - und das war das erste Zeichen, dass es zurück in die Zivilisation ging - es galt einen Bus zu erreichen. Der Hüttenwart brachte uns mit dem Motorboot über den See, was uns eine mühsame Ruderei ersparte.

Anschliessend folgte ein langer Aufstieg, sehr ähnlich wie die Passüberquerung vom Vortag: Eine sanfte, aber stetige Steigung, die keine Ende zu nehmen schien. Dafür brachte der Tag einen Querschnitt aus allem, was diese Lapplandtour ausgemacht hatte: Sumpf, Schneefelder, schmale Holzplanken, Mücken und diese schier endlose Weite. Im Hintergrund sah man bereits die schneebedeckten Gipfel des Sarek-Gebirges.

Unsere Route durch Lappland
Nach einem kurzen, aber steilen Abstieg kam dann das nächste Zeichen, dass die Zivilisation uns nach elf Tagen und 180 km wieder hatte: Ein Strommast. In Vakkotavare hatte schliesslich auch mein Handy - das erste Mal seit fast zwei Wochen - wieder Empfang. Wir erreichten damit die Zivilisation gerade rechtzeitig, bevor meine AntiBrumm- und Parapic-Vorräte endgültig zu Neige gingen.

Wir übernachteten nicht in der Vakkotavare-Stugan, sondern fuhren mit dem Bus entlang des Akkajaure-Stausees zu einem kleinen Motel, um die Annehmlichkeiten der Zivilisation zu geniessen: Eine warme Dusche und ein Rentiersteak im Restaurant (und ein Frühstücksbuffet ohne Porridge am anderen Morgen).

* * * * *

Wenn ich heute - einen guten Monat später - auf die Tour zurückblicke, bleiben mir - neben Morast, Mücken und Porridge - vor allem die Abgeschiedenheit und unendliche Weite der Landschaft sowie die Vielfalt der Pflanzen, die in dieser kargen Umgebung gedeihen, in Erinnerung. In den zwei Wochen haben wir nur einen kleinen Teil von Lappland erwandert, und ich hoffe, dass ich irgendwann zurückkehre, um weitere Teile zu entdecken.

=> Alle Blogbeiträge zu meiner Kungsleden-Tour es hier.


Post scriptum:
=> Zwei Jahre später verschlug es mich tatsächlich zurück nach Lappland, diesmal auf den Nordkalottleden, die entsprechenden Blogbeiträge gibt es hier.






Sonntag, 27. August 2017

Allalinhorn: Mein erster Viertausender

Sonnenaufgang auf dem Weg von der Britannia Hütte
zur Station Felskinn
Man braucht Ziele im Leben und zu meinen Zielen gehörten schon lange eine Hochtour zu machen und einen Viertausender zu besteigen. Mit der Besteigung des Allalinhorns konnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wobei mir natürlich klar war, dass ich damit für meine Zielerreichung eine ziemlich bequeme Variante gewählt hatte. Wenigsten wollte ich dieses Unterfangen seriös angehen und buchte daher das "Hochtour für Einsteiger"-Angebot der Mammut Alpine School.

Wir waren eine kleine Gruppe von Anfängern, die in Saas Fee von Bergführer Peter in Empfang genommen wurden. Gemeinsam fuhren wir mit der Gondelbahn und der unterirdischen Metro bis zur (inoffiziellen) Zwischenstation Hohlaub. Durch einen kurzen Stollen erreichten wir direkt den gleichnamigen Gletscher.

Dort bekamen wir dann einen Crash-Kurs mit den absoluten Basics für Hochtouren-Dummies: Wie ziehe ich die Steigeisen richtig an? Was ist vorne beim Klettergurt? Wo packe ich den Eispickel hin (möglichst ohne mich damit aufzuspiessen)? Anschliessend ging es weiter mit einer Lektion über die wichtigsten Knoten, inklusive der diesbezüglichen kulturellen Unterschiede zwischen Berner und Walliser Bergsteigern. Am Schluss stellte sich heraus, dass man mit einem Achterknoten ziemlich weit kommt - und den konnte ich noch aus meinen Pfadfindertagen. Wir machten die ersten Schritte in Steigeisen, als wir langsam - immer den zahlreichen Spalten ausweichend - den Gletscher überquerten. Das Wasser floss in unzähligen Rinnsalen über das Eis; hier oben kann man die Klimaerwärmung mit eigenen Augen sehen. Neben dem schmelzenden Eis schockierte mich vor allem der Müll, der auf dem Gletscher lag: Von Handschuhen über Sonnenbrillen bis zu Cola-Flaschen war alles zu sehen.

Allalinhorn von Saas Fee aus
In der Britannia Hütte, welche auf 3'030 m liegt, verbrachten wir eine kurze Nacht. Kurz, weil ich wie üblich in SAC-Hütten schlecht schlief und wir zudem vor fünf Uhr wieder aufstehen mussten. Es war doch dunkel, als wir uns auf den Weg zur Station Felskinn machten. Im Schein der Stirnlampen montierten wir die Steigeisen, um ein kleines, aber zum Schluss sehr steiles, vereistes Firnfeld zu überqueren. Gut, dass ich erst sah, wie steil die letzten Meter waren, als wir schon unten waren, denn so ganz traute ich den Zacken meiner Steigeisen im pickelharten Eis nicht.

Von der Station Felskinn nahmen wir die Metro, welche uns direkt bis Mittelallalin auf 3'456 m fuhr, und damit mitten ins Sommerskigebiet von Saas Fee. Unglaublich, wie viele Skifahrer sich schon um diese Zeit in der Bahn und auf den Pisten tummelten! Ich hatte ja gewusst, dass die Ski-Kader im Sommer auf dem Gletscher trainieren, ich hatte hingegen nicht gewusst, dass man bereits im Kindergartenalter zum Ski-Kader gehören kann.

Allalinhorn Gipfelkreuz
mit Matterhorn im Hintergrund 
Wir folgten ein kurzes Stück der Skipiste, bevor wir schliesslich wieder in die Steigeisen schlüpften und uns anseilten. Peter führte uns über den schneebedeckten Gletscher in Richtung Allalinhorn und sorgte mit einem sehr gemütlichen Tempo dafür, dass es wirklich alle unserer Seilschaft auf den Gipfel schafften. Technisch stellte der Aufstieg keine besondere Schwierigkeit dar, mit Ausnahme vielleicht der Holzleiter, welche zur Überwindung einer senkrechten Schneewand angebracht worden war. Im Aufstieg war sie eigentlich relativ einfach hochzuklettern, doch beim Abstieg zeigte sich wieder mal, dass klein sein ein Nachteil ist: Die oberste Stufe der Leiter erreichte ich mit meinen (kurzen) Beinen nur unter Mühen.

Um genau elf Uhr - wie von Peter bereits am Vorabend exakt vorhergesagt - erreichten wir das Allalinhorn (4'027 m). Trotz den zahlreichen Seilschaften, die unterwegs waren, hatten wir den Gipfel sogar einen Moment lang für uns. Die Fernsicht war etwas getrübt, doch für den freien Blick aufs Matterhorn reichte sie allemal. Wir gratulierten uns gegenseitig zum Gipfelerfolg, um uns dann nach einer kurzen Pause an den Abstieg zu machen. Dieser ging - mit Ausnahme der erwähnten Kletterpartie über die Leiter - zügig voran, so dass wir - wie von Peter ebenfalls korrekt vorausgesagt - um ein Uhr bereits wieder bei der Station Mittelallalin in die Metro steigen konnten.



Wanderinfos:
(Daten sind nicht getrackt, sondern geschätzt/gerechnet)

  • Gewandert: Samstag/Sonntag, 26./27. August 2017
  • Route (nur Aufstieg Allalinhorn Sonntag): Mittelallalin - Allalinhorn - Mittelallalin
  • Unsere Wanderzeit (nur Aufstieg Allalinhorn Sonntag): 5 h (inkl. Pausen)
  • Distanz (nur Aufstieg Allalinhorn Sonntag): ca. 6 km
  • Höhenmeter (nur Aufstieg Allalinhorn Sonntag): 600 m
  • Übernachten: Britannia Hütte SAC




Mittwoch, 23. August 2017

Flüsse, Seen und Blasen an den Füssen (Lappland/Kungsleden 5/6)

[Dienstag, 25.7.2017; Singi - Kaitumjaure; 13 km] Die letzten drei Tage folgten wir dem Kungsleden. Da viele Wanderer in Singi starten resp. aufhören, ist dieser Teil nicht so stark begangen, trotzdem vermisste ich abends jeweils die kleinen, einsamen Hütten wie Nallo oder Hukejaure.

Von Singi aus wanderten wir durch das ausgedehnte Tal, entlang von Seen und einem breiten Fluss. Im Gegensatz zu den Trampelpfaden in den Seitentälern war der Weg hier besser ausgebaut und über alle Flüsse und die meisten Sümpfe führten Brücken oder breite Holzplanken. Es sollte der erste Tag werden, an dem ich mit trockenen Schuhen bei der Hütte ankam - und der erste mit einer Blase an der Ferse. Soviel Trockenheit waren sich meine Füsse offenbar nicht mehr gewohnt.

Wir suchten uns für die Mittagsrast eine Wind ausgesetzte Kuppe (hilft gegen Mücken) und erfrischten uns bei einem kurzen Bad im Fluss. Danach wurde das Tal enger und der Fluss grub sich unter uns immer tiefer in seine Schlucht hinein. Zum ersten Mal seit Tagen durchquerten wir wieder ein Birkenwäldchen und die ungewohnte Hitze machte uns zu schaffen. Wir hielten die Pausen trotzdem kurz, denn in Kaitum winkte die Aussicht auf ein kühles Bier, nachdem wir uns die letzten beiden Tagen mit Wasser hatten begnügen müssen, da die Hütten über keinen Laden verfügt hatten.

Plötzlich endete das Tal und unter uns lag ein grosser, tiefblauer See, umgeben von einem dicht bewaldeten Ufer. Die beste Aussicht über den See und das Tal hatte man von den Treppenstufen der Kaitumjaure-Stugorna aus, wo wir uns das langersehntes Bier gönnten. Der kleine Laden beendete überigens auch die Pancakes-Phase und Steffi konnte wieder ihren heissgeliebten Porridge kochen.

Kaitumjaure
Daneben hatte es in Kaitum auch eine Sauna, was vor allem bedeutete, dass ich mich wieder einmal waschen konnte, ohne von Mücken aufgefressen zu werden. Weitere Highlights von Kaitum waren der kleine Sandstrand am Fluss und die Sicht auf die Elche, welche am Abend auf einer Insel im Flussdelta Futter suchten.

[Mittwoch, 26.7.2017; Kaitumjaure - Teusajaure; 10 km] Der zweitletzte Wandertag brachte eine gemütliche, kurze Etappe. Wir wanderten entlang des Flusses, der über zahlreiche Stufen hinab donnerte. Schliesslich bogen wir nach Süden ab und stiegen zu einem Pass hoch, der zwar nicht besonders viele Höhenmeter aufwies, die wenigen sich aber schier endlos hinzuziehen schienen, denn hinter jeder Kuppe tauchte die nächste auf. Die Hochebene endete abrupt an einer rötlichen Felsformation, über deren Terrassen ein Bach floss und über einen fast senkrechten Abhang in die Tiefe stürzte.

Teusajaure
Bevor wir uns selber an den steilen Abstieg machten, nutzten wir die warmen Steine für eine lange Pause. Einige nahmen sogar ein kurzes Bad unter einem Wasserfall. Ich wartete mit dem Bad, bis wir schliesslich die Teusajaure-Stugorna erreichten, die direkt an einem grossen See liegt. Nachdem die Hüttenwartin zudem versichert hatte, dass die Mückendichte bei ihrer Hütte ungewöhnlich klein war, verzichtete ich sogar auf die Sauna zugunsten eines (sehr) kurzen Bads im See - die lappländischen Seen sind nicht wirklich wärmer als die Flüsse. Aufwärmen konnte man sich danach beim Sonnenbad auf den glitzernden Steinen am Strand. Die Mückendichte war in Teusajaure tatsächlich niedriger - sie war aber nicht null, wie ich feststellen musste.


Hier geht's weiter auf dem Kungsleden => Teil 6: Zurück zur Zivilisation

Sonntag, 20. August 2017

Leistungstest auf den Säntis

Säntis vom Seealpsee aus
Erneut war ich im Alpstein unterwegs und diesmal stand mit dem Säntis (2'502 m) der höchste Gipfel der Region auf dem Programm.

Für die 1'700 Höhenmeter umfassende Herausforderung hatte ich mich Monis notorisch fitter Wandergruppe angeschlossen. In Wasserauen wählten wir den Weg über das Hüttentobel, ein Umweg, welcher - wie ein aufmerksamer Mitwanderer bemerkte - zusätzliche 80 Höhenmeter bedeutete. Bald kam hoch oben am Horizont die markante Antenne des Säntis in Sicht und damit war allen klar, dass es ohne viel Schweiss nicht gehen würde - unabhängig der 80 Höhenmeter mehr oder weniger. Mir war dagegen noch nicht ganz klar, wie wir die senkrechten Felswände, welche den Säntis umgeben, hochkommen würden.

Nach einem kurzen eher flachen Teil (dem einzigen an diesem Tag) dem Seealpsee entlang kam zunächst der Anstieg durch den steilen Einschnitt des Leiterfelds in Richtung Mesmer. Der See unter uns wurde immer kleiner, während der Säntis zwar näher kam, aber immer höher zu werden schien.

Blick zurück beim Schlussanstieg
Beim Gasthaus Mesmer gönnten wir uns eine Pause, schliesslich hatten wir da bereits über 700 Höhenmeter hinter uns gebracht - fehlten also noch knapp 1000. Den Weg weiter über die Fehlalp mussten wir uns mit einer Herde Ziegen teilen, und eine Ziege, die sich direkt auf dem schmalen Pfad niedergelassen hatte, dachte nicht im Traum daran, für uns Platz zu machen.

Über einen Schuttkegel von lockerem Gestein ging es dann im Zickzack hoch zur Wagenlücke. Hinter der Wagenlücke erwartete uns eine Welt aus weissem, zerklüftetem Kalkstein. Einzelne Blumen wuchsen in den Felsspalten, und wir staunten, wie sie in dieser Steinwüste überleben konnten. Der letzte Abschnitt war steil und teilweise musste man für die hohen Stufen die Hände zu Hilfe nehmen. Von der Terrasse des Berggasthauses Alter Säntis schauten die Leute auf uns herunter, wie wir uns die letzten Meter hochquälten.

Auf dem Gipfel angekommen - atemlos, verschwitzt und mit hochrotem Kopf - war ich mit meiner Leistung mehr als zufrieden - auch wenn Moni meinte, wir wären etwas langsam unterwegs gewesen (Anmerkung: Wir brauchten für die mit 5 h 30 min ausgeschilderte Strecke nur gute 4 Stunden).



Wanderinfos:
  • Gewandert: Mittwoch, 16. August 2017
  • Route: Wasserauen - Hüttentobel - Seealpsee - Mesmer - Wagenlücke - Säntis
  • Unsere Wanderzeit: 4 h 10 min
  • Distanz: 11,7 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'742 m







Mittwoch, 16. August 2017

Geröll, Schnee und unendliche Weiten (Lappland/Kungsleden 4/6)

[Samstag, 22.7.2017; Nallo - Sälka; 11 km] Am nächsten Tag verliessen wir die gemütliche Nallo-Stugan und folgten weiter dem Tal, das leicht anstieg und sich dann zu einer breiten Ebene ausweitete. Eine schier endlose Weite aus Schnee und Geröll lag vor uns. Die Schneefelder waren noch hart und damit gut zu überqueren. Sumpf gab es nur an Stellen, wo der Schnee schon geschmolzen war und unzählige Rinnsale aus Schmelzwasser zurückgelassen hatte. Im Vergleich zum Matsch von anfangs Woche eigentlich nicht der Rede wert. Am Morgen schien die Sonne und wir waren schon kurz davor, uns über die Hitze zu beklagen, wenn die Erinnerungen an den Regen und die Kälte nicht noch so lebhaft gewesen wären.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir das Ende der Hochebene und während des kurzen Abstiegs sah man unten im Tal, am Kopfende eines ausgedehnten Sees, bereits die nächste Hütte. Die Sälka-Stugorna lag wieder direkt am Kungsleden, entsprechend voll war die Hütte - und die Sauna. Zudem waren im kleinen Laden sämtliche Haferflocken ausverkauft, was vor allem Steffi, welche uns jeden Morgen mit Porridge versorgte, Sorgen machte. Sie musste schliesslich für die nächsten Tage auf Pancakes mit Nutella ausweichen - ich war untröstlich.

Dafür konnte Sälka mit einer Horde fast zahmer Schneehühner aufwarten, die sich in einem Stapel Birkenholz eingerichtet hatten.

[Sonntag, 23.7.2017; Sälka - Hukejaure; 24 km] Als ich vor meiner Abreise meinen Freunden von meinen Ferienplänen erzählte, kam jedesmal die Warnung vor riesigen Mückenschwärmen. Nach den ersten paar Wandertagen hatte ich zwar einzelne Mückenstiche, doch eigentlich fand ich das Ganze harmlos. Das änderte sich ab der langen Etappe nach Hukejaure, wo ich mehr Anti-Brumm verbrauchte als die Tage zuvor zusammen genommen.

Wir verliessen wieder den Kungsleden und stiegen in ein grasbewachsenes Seitental auf und passierten einen tiefblauen See nach dem anderen. Um die Talseite zu wechseln, galt es wieder einmal, einen Fluss zu durchqueren. Mir froren die Zehen bereits beim Blick auf das breite Flussbett fast ab, doch dieses Mal empfand ich die Durchquerung gar nicht so schlimm: Entweder wurde durch das schöne Wetter das Wasser wärmer oder ich hatte mich mittlerweile daran gewöhnt - oder meine Kältenerven in den Zehen waren bereits abgestorben.

Bei einer Pause entdeckten wir auf einem Schneefeld am Berghang gegenüber eine Herde Rentiere. Offenbar suchen sie Schneefelder auf, weil es dort weniger Mücken geben soll. Eine Theorie, die ich nicht bestätigen kann: An diesem Tag musste ich das erste Mal in meinem Leben mitten in einem Schneefeld einen Angriff von ausgehungerten Mücken abwehren.

Nach einer letzten Steigung öffnete sich der Blick auf eine mit Wasser und Schnee durchzogenen Ebene. Wo genau das Wasser aufhörte und der Schnee anfing, war nicht immer klar. Die Hukejaure-Stugan lag auf einem Felsen direkt über einem See und man hatte bereits klare Sicht auf die norwegischen Berge, so nahe an der Grenze waren wir.

Die Hütte hatte keine Sauna und um sich zu waschen, musste man in den Sandalen ein Schneefeld zum See hinab rutschen, um sich dann der eigentlichen Herausforderung zu stellen: Sich schneller aus- und anziehen, als die Mücken zustechen konnten. Ich versagte kläglich.

[Montag, 24.7.2017; Hukejaure - Singi; 22 km] Am Morgen lag eine dünne Eisschicht auf dem See, aus welchem man das Wasser für den Kaffee holte. Eine weitere lange Etappe lag vor uns und Steffi führte uns sicher durch ein einsames Tal, entlang von unzähligen, teilweise noch eis- und schneebedeckten Seen. Die Strecke war meist weglos und nur spärlich markiert, wobei man nicht immer ganz sicher war, ob es sich bei den Steinhaufen um eine Wegmarkierung handelte oder ein Überbleibsel aus der letzten Eiszeit.

Schliesslich sahen wir tief unter uns das grüne Haupttal, in welchem sich mäanderartig ein breiter Fluss ausgebreitet hatte. Über zahlreiche Terrassen stiegen wir immer tiefer herunter und von weitem sahen wir bereits die nächste Hütte.

Singi liegt an einem Knotenpunkt des Kungsleden, viele Wanderer starten bzw. hören hier auf. Entsprechend voll war die Hütte, bereits in der Nacht zuvor hatte der Hüttenwart fast doppelt so viele Leute unterbringen müssen, wie er Betten zur Verfügung hatte. Dank zusätzlichen Matratzen auf dem Boden fanden schliesslich alle einen Schlafplatz. Da Singi ebenfalls nicht über eine Sauna verfügt, blieb mir nichts anderes übrig, als es für die abendliche Wäsche erneut mit den Mücken am Bach aufzunehmen. Als Entschädigung für die Enge und die Mücken gab es vom Küchenfenster aus direkte Sicht auf zwei Elche, die den Fluss durchschwammen.


Hier geht's weiter auf dem Kungsleden => Teil 5: Flüsse, Seen und Blasen an den Füssen









Sonntag, 13. August 2017

Street Parade am Klausenpass (5. + 6.1. Etappe Via Alpina)

"Das Wetter gehört verachtet und verdient keinen Kommentar", meinte Organisator Dani am Morgen und stieg in Linthal in die Standsteilbahn. Der Rest der Gruppe verweigerte sich jeder Art von Abkürzung und folgte zu Fuss - und ohne jegliche Abweichungen von der ausgeschilderten Route - der Via Alpina, die über einen steilen Waldweg nach Braunwald hochführte. Wetter und Organisator rehabilitierten sich aber im Laufe dieses Wochenendes vollständig.

Die Sonnenterrasse Braunwald machte an diesem Tag ihrem Namen zwar wirklich keine Ehre, doch wenigstens hatte der Regen aufgehört, als wir den grössten Teil des Aufstiegs hinter uns gebracht hatten. Anschliessend führte der Weg mehr oder weniger der Höhenlinie entlang. Über uns hingen die Wolken in den senkrechten Felswänden.

Direkt an der Kantonsgrenze zwischen Glarus und Uri querten wir die Passstrasse. Eine mittelalterliche Sage, die einen toten Glarner und das richtige Füttern von Hähnen beinhaltet, gibt Auskunft darüber, warum die Grenze nicht auf der Passhöhe liegt. Wir wähnten uns beim Grenzstein bereits am Ziel, doch wir hatten die Ausdehnung des Urnerbodens unterschätzt: Wir waren noch einige Kilometer vom Urner-Schnitzel im Gasthaus Urnerboden entfernt, doch immer entlang des Fätschbachs näherten wir uns unserem Ziel. Und wir lernten dabei erst noch die Urner Variante der Street Parade kennen.

Der nächste Morgen begann mit dem Aufstieg zum Klausenpass. Immer wieder traversierten wir die kurvige Hauptstrasse, über welche Motorradfahrer zum Pass hochdonnerten. Auf der Passhöhe deckten wir uns auf dem Markt zunächst einmal mit regionalen Spezialitäten ein.

Vor einem Jahr, auf unserem Weg von Zürich auf den Gotthard, hatten wir den Klausenpass bereits von Norden nach Süden gekreuzt, dieses Jahr folgte also die Überschreitung der Länge nach von Osten nach Westen.

Nach dem Pass führt die Via Alpina ein Stück weit über die gleiche Strecke wie der Schächentaler Höhenweg. Der Weg bot einen schönen Ausblick über das bewaldete, mit zahlreichen Wasserfällen durchzogene Tal und die Bergwelt mit Clariden, Schärhorn und Windgällen auf der gegenüber liegenden Seite - und stieg erstaunlich oft noch an, bis dann die Via Alpina schliesslich den Höhenweg verliess und steil nach unten führte.

In Urigen beendeten wir die 6. Etappe der Via Alpina vorläufig; den Rest der Etappe holen wir im September nach.



Wanderinfos:

  • Gewandert: Samstag/Sonntag, 12./13. August 2017
  • Route: Linthal - Tannenboden - Braunwald - Friteren - Urnerboden (Samstag); Urnerboden - Vorfrutt - Klausenpass - Heidmannegg - Egg - Urigen (Sonntag) (5. und Teil der 6. Etappe der Via Alpina/nationale Route Nr.1)
  • Unsere Wanderzeit: 4 h 45 min (Samstag); 4 h 30 (Sonntag)
  • Distanz: 16,4 km (Samstag); 16,8 km (Sonntag)
  • Steigung (Aufstieg): 1'120 m (Samstag); 830 m (Sonntag)
  • Übernachten: Gasthaus Urnerboden
  • Weitere Etappen der Via Alpina finden sich hier






Mittwoch, 9. August 2017

Rentiere, Elche und viel Sonne (Lappland/Kungsleden 3/6)

[Donnerstag, 20.7.2017, Alesjaure - Vistas; 19 km] Es war ein weiterer kühler Morgen, aber dank des Trockenraums der Alesjaure-Stugan waren meine Handschuhe wieder einsatzbereit. Doch die Handschuhe konnte ich schon bald wieder ausziehen und es wurde der erste Tag, an welchem ich Regenjacke, Regenhose und Regenüberzug in meinem Rucksack verstauen konnte - welcher dadurch natürlich gleich schwerer wurde.

Wir durchquerten ein kleines Samendörfchen und bogen dann in ein einsames Seitental ein. Über die Berghänge fielen unzählige Wasserfälle und vereinten sich in der Talmitte zu einem breiten Fluss. Der Weg führte über ausgedehnte Geröllfelder, die teilweise aus lockeren Steinen bestanden, teilweise längst von Blumen und kleinen Birken überwuchert worden waren.

Wir passierten eine Herde von Rentieren, die im hohen Gras weideten und uns ebenso neugierig musterten wie wir sie. Als wir nach einer weiteren mühseligen Flussdurchquerung am Boden sassen, um wieder unsere Wanderschuhe anzuziehen, huschte ein Rudel von halbwüchsigen Rentierböcken an uns vorbei und zeigte uns, wie man Flüsse elegant überquert.

Ich freute mich zu früh darüber, dass sich der Sumpf an diesem Tag in Grenzen hielt, denn die letzten Kilometer mussten wir uns durch ein Birkenwäldchen kämpfen, in welchem der Matsch knöcheltief stand. Nach diesem kräfteraubenden Endspurt erreichten wir die Vistas-Stugan, die in einer kleinen Waldlichtung direkt am Fluss liegt - natürlich inklusive Sauna, die wir uns an diesem Tag redlich verdient hatten. Das Abschlusshighlight des Tages bildeten dann aber drei Elche, welche wir am Abend auf der gegenüberliegenden Flussseite, gut getarnt durch den dichten Birkenwald, entdeckten.

Nallo-Stugan
[Freitag, 21.7.2017; Vistas - Nallo; 9 km] Es war der erste Tag, welcher uns bereits am Morgen mit blauem Himmel begrüsste und an welchem man im T-Shirt wandern konnte. Wir stiegen in ein Seitental ein, immer direkt auf einen markanten Berg zu, der mich ans Matterhorn erinnerte. Die wandertechnische Herausforderung des Tages bestand darin, von Stein zu Stein zu hüpfen - entweder um sumpfige Stellen und kleine Bäche trockenen Fusses zu überqueren oder um über breite Geröllfelder zu balancieren.

Am Fusse des Berges machten wir ein kleines Mittagsschläfchen an der Sonne. Bald darauf erreichten wir bereits die kleine Hütte, die in der Mündung zweier Flüsse liegt. Steinmännchen im Wasser kennzeichneten die Stelle, wo man den Fluss am besten überqueren konnte. Die Nallo-Stugan war eine der schönsten Hütten, in der wir übernachteten. Die Hütte liegt zwar auf nicht einmal 1000 m Höhe, trotzdem war sie nur von Felsen, Schnee und Wasser umgeben; ausser kurzem Gras und ein paar Flechten gab es keine Vegetation mehr. In der Schweiz findet man solche Landschaften erst über 2000 m. Der Nachteil der baumlosen Lage war, dass die Hütte - eben mangels Holz - keine Sauna hatte, doch das nahm ich an diesem Tag gerne in Kauf.


Hier geht's weiter auf dem Kungsleden => Teil 4: Geröll, Schnee und unendliche Weiten




Sonntag, 6. August 2017

Im hohen Bogen auf den Hohen Kasten

Sämtisersee mit Hohem Kasten
Nach meinen Gruppen-Wanderferien in Lappland hatte ich Lust, wieder einmal alleine zu wandern. Doch soviel vorweg: Wer nach Einsamkeit sucht, sollte nicht am Wochenende im Alpstein unterwegs sein; am Ende des Tages war ich vor allem erschöpft vom vielen Kreuzen und Grüssen der entgegenkommenden Wanderer.

Der Start der Wanderung war Brülisau, das Ziel der Hohe Kasten (1'794 m). Doch ich nahm von Brülisau aus nicht den direkten Weg hoch, sondern machte einen grossen, bogenförmigen Umweg über Bollenwees, entlang des "Geologischen Wanderwegs Alpstein", welcher auf zahlreichen Informationstafeln Einblicke in die Entstehung des Alpsteins gewährt. 

Fählensee
Ich hatte fälschlicherweise angenommen, dass der erste Teil der Wanderung mehr oder weniger flach sein würde - das nächste Mal sollte ich das Höhenprofil besser studieren. Die erste Hälfte der Wanderung führte zwar über einen breiten Kiesweg, dieser stieg aber von Anfang an ziemlich steil an. Nach dem engen Brüeltobel öffnete sich das Tal und gab den Blick auf die umliegenden, schroffen Gipfel frei. Unter mir lag der grüne Sämtisersee und ein Blick zurück zeigte den Hohen Kasten - von welchem ich mich immer weiter entfernte. Das Tal endete bei Bollenwees und dem Fählensee, welcher eingeklemmt zwischen steilen Felswänden liegt.

Ich wandte mich aber in die anderer Richtung und stieg den Zickzack-Weg zur Saxerlücke hoch. Von dort waren es nur noch ein paar Höhenmeter, bis man den Gratweg erreicht, der zurück zum Hohen Kasten führt. Endlich wanderte ich wieder auf mein Ziel zu, statt von ihm weg. Von Osten her stiegen Wolken über die Bergkette hoch und verdeckten die Aussicht ins Rheintal. Dafür konnte man auf der anderen Seite bis zum Bodensee sehen. 

Es schien mir, als sei an diesem Tag die ganze Ostschweiz zum oder vom Hohen Kasten unterwegs. Kreuzen oder Überholen auf dem schmalen Weg machte nicht wirklich Spass. Zudem begannen die Wolken auch am Hohen Kasten selber hängen zu bleiben und ich befürchtete schon, dass ich nach all der Anstrengung am Ziel mitten im Nebel stecken würde. 

Der Gratweg führte immer wieder ein Stück abwärts, um die schroffen Felswände zu umgehen, und es war klar, dass ich diese Höhenmeter am Schluss wieder hoch musste. Tatsächlich folgte kurz vor dem Ziel nochmals ein steiler Anstieg, immer entlang der senkrechten Felswand des Hohen Kastens. Als Belohnung verzogen sich - als ich im Gipfelrestaurant beim Bier sass - doch noch die Wolken, so dass ich die Aussicht ausgiebig geniessen konnte.



Wanderinfos:
  • Gewandert: Samstag, 5. August 2017
  • Route: Brülisau - Plattenbödeli - Bollenwees - Saxerlücke - Stauberen - Kastensattel - Hoher Kasten
  • Meine Wanderzeit: 5 h
  • Distanz: 16,5 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'490 m








Mittwoch, 2. August 2017

Regen, Sumpf und nasse Füsse (Lappland/Kungsleden 2/6)

[Dienstag, 18.7.2017; Abiskojaure - Unna Allakas; 24 km] Am zweiten Wandertag bewies Lappland, dass es noch nasser und noch sumpfiger sein konnte: Wir verliessen den Kungsleden und bogen in ein weniger begangenes Tal ab. Von Anfang an hatte sich der Weg - wo er nicht komplett unter Wasser stand - in einen tiefen Morast verwandelt. Es gab weniger Holzplanken als auf dem Kungsleden und diese waren oft schmaler und morscher - sofern sie nicht bereits komplett vom Sumpf verschluckt worden waren. Wir versuchten den ärgsten Matsch zu umgehen, indem wir uns durch das dichte Buschwerk kämpften - nicht immer erfolgreich. Zur Mittagszeit hatte sich der Sumpf auch in meinem rechten Schuh ausgebreitet.

Während des Tages veränderte sich allmählich die Landschaft: Der Birkenwald wurde lichter, die einzelnen Bäume kleiner und knorrig, bis sie schliesslich ganz aufhörten und einer baumlosen Tundra-Landschaft Platz machten, welche mit einzelnen Schneeflecken verziert war. Den ganzen Tag hatte der Regen nie richtig aufgehört und sobald wir den schützenden Wald hinter uns gelassen hatten, blies ein kühler Wind. Richtig kalt bekam ich aber erst, als wir in Sandalen mehrere Flüsse mit eiskaltem Wasser durchqueren mussten. Und die nassen Füsse zurück in die nassen Socken und Wanderschuhe zwängen, wärmte auch nicht wirklich.

Nach zehn Stunden erreichten wir endlich die Hütte Unna Allakas, welche idyllisch über einem kleinen See liegt, die schneebedeckten Berge im Hintergrund. An diesem Abend wurden aber selbst in der Sauna meine Füsse nicht mehr richtig warm.

[Mittwoch, 19.7.2017; Unna Allakas - Alesjaure; 17 km] Nach einer eher kühlen Nacht begann auch der Morgen kalt und windig. Handschuhe wären an diesem Tag gut gewesen, doch meine waren noch nass vom Vortag. Dafür waren meine Schuhe, die ich über den Holzofen gehängt hatte, über Nacht wieder einigermassen trocken geworden. Da die Etappe ohnehin mit den ersten nennenswerten Höhenmetern der Wanderung begann, bekam ich aber schnell warm. Es war auch weniger sumpfig als am Vortag, bzw. der Sumpf konzentrierte sich auf den Anfang und das Ende der Wanderung. Dazwischen überquerten wir eine ausgedehnte Hochebene, auf welcher noch Schnee lag. Es stellte sich heraus, dass es viel angenehmer war, auf Schnee zu gehen als durch Sumpf zu waten. Schnee lag auch am Ufer des Flusses, für dessen Überquerung wir wieder die Wanderschuhe ausziehen mussten - die Wassertemperatur war entsprechend. Neben den Schneefeldern behaupteten sich kleine Blumen und beim Aufstieg sahen wir Rentiere, die mit ihren Jungen über die karge Landschaft zogen.

Es regnete weniger an diesem Tag und zwischendurch konnten wir zum ersten Mal die schwedische Sonne sehen, die sich - obwohl sie eigentlich nie unterging - bisher immer hinter Wolken versteckt hatte. Beim Abstieg öffnete sich der Blick über eine langgezogene Seenlandschaft, an deren Ende die nächste Hütte lag, die uns mit einem Regenbogen begrüsste - ein gutes Vorzeichen für die nächsten Tage.

Alesjaure
Die Hütten des STF sind - im Gegensatz zu schweizerischen SAC-Hütten - Selbstversorger-Hütten. Eine Hütte (Stugan bzw. Stugorna) besteht in der Regel aus mehreren Gebäuden: Ein Hauptgebäude, mehrere Gästehäuser, eine Plumpsklo und ein Saunahäuschen. Ein Hüttenwart (Stugvärd) begrüsst die Gäste, weist die Betten zu und führt oft einen kleinen Laden mit einem beschränkten Angebot aus Haferflocken, Bier und Schokolade. Die Gästehütten erinnerten mich an Jugendherbergen, mit Etagenbetten und gut ausgestatteten Gemeinschaftsküchen, in denen man am Gasherd das mitgebrachte Essen zubereiten kann. Die Ausstattung - von den Duvetbezügen über die Tische und Stühle bis zum Geschirr - ist immer gleich und erregte bei mir den Verdacht, dass der STF ein Grosskunde bei IKEA ist.

Wasser holt man aus dem nahen Fluss oder See, abkochen ist nicht notwendig. Das Dreckwasser muss man zurück zu speziellen Senklöchern schleppen. Um sich an kühlen Tagen aufzuwärmen und die nassen Sachen zu trocknen, kann man in kleinen Öfen mit Birkenholz (das man zuerst spalten muss) Feuer machen. Das immer etwas abseits stehende Plumpsklo ist so anmächelig wie Plumpsklos eben sind. Die meisten Hütten haben zudem - und das war auf jeden Fall ein Highlight der Wanderung - eine Sauna. Darin kann man sich nicht nur aufwärmen, sondern die Saunaöfen produzieren auch heisses Wasser, mit welchem man sich nach den schweisstreibenden Wanderungen und vor dem Saunagang ausgiebig waschen kann.


Hier geht's weiter auf dem Kungsleden => Teil 3: Rentiere, Elche und viel Sonne