Sonntag, 21. August 2016

Schlottrige Knie am Col des Audannes

Eigentlich wäre an diesem Wochenende mit dem Barrhorn der höchste Gipfel der Saison auf dem Programm gestanden; die unsicheren Wetterprognosen führten aber dazu, dass die Tour abgesagt werden musste. Ich sah mich schon das ganze Wochenende auf dem Sofa liegen und Netflix schauen, als Claude unverhofft eine Tour zur Cabane des Audannes organisierte. Er hatte das Ziel ausgewählt, weil er davon ausging, dass das schlechte Wetter im Westen zwar früher ankommen, dafür aber auch früher vorbei sein würde, und er sollte mit seiner Vermutung recht behalten. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt - wenn ich ehrlich sein wollte - keine Ahnung, wo die Cabane des Audannes überhaupt liegt.

Es wurde also nichts mit Faulenzen, stattdessen stieg ich am Samstagmorgen in den Zug Richtung Wallis. Die Anreise zum Ausgangspunkt der Tour, dem Barrage du Rawil, war etwas umständlich, doch gerade die letzte Etappe per Postauto stellte sich als ein besonderes Erlebnis heraus, nicht nur wegen der schmalen Strasse und der Aussicht ins Tal, sondern insbesondere wegen zwei Tunnel, die nur wenige Zentimeter grösser waren als der Bus und in die der Chauffeur richtiggehend einfädeln musste.

Von der Staumauer aus ging es für unsere kleine Wandergruppe zu Fuss weiter. Der Weg führte zunächst entlang des Lac de Tseuzier und nach ein paar Metern setzte bereits der erwartete Regen ein. Trotzdem entwickelte sich das Wetter an diesem Tag besser als erwartet: Der Regen hörte immer wieder auf und es goss auch nie - wie eigentlich vorausgesagt - in Strömen.

Kurz nach dem See begann die Steigung. Der Weg wand sich sehr steil zwischen den Felswänden den Hang empor und war durch den Regen glitschig geworden, so dass ich prompt ausrutschte und für einmal nicht nur bis zu den Knie schmutzig war, sondern darüber hinaus. Nachdem wir die ersten gut 600 Höhenmeter hinter uns gebracht und den ersten Mitwanderer verloren hatten, erreichten wir einen riesigen, hellen Karstrücken, welcher mitten zwischen den zwei dunkleren Felswänden liegt, als hätte ihn dort jemand hingepflanzt. Ich kraxelte teilweise auf allen Vieren über den zerklüfteten und ausgewaschenen Karst mit seinen tiefen Spalten und spitzen Kanten. Danach ging es weiter hoch, bis wir mit dem Col des Eaux Froides (auf dem es mehr kalte Winde als kalte Wasser gab) auf 2'648 m den höchsten Punkt des Tages erreichten. Von dort aus sahen wir bereits auf der gegenüberliegenden Seite auf einem kleinen Hügel über dem Lac des Audannes die Hütte, in der wir übernachten würden.

Die Cabanes des Audannes ist von aussen nicht gerade ein Schmuckstück und weist innen einen seltsam verwinkelten Grundriss auf. Davon liessen wir uns aber selbstverständlich nicht ablenken, sondern verbrachten einen vergnüglichen Abend mit Wein, Politik und dem Austausch von Lebensweisheiten.

Der nächste Morgen begrüsste uns mit Sonne und blauem Himmel. Wir hatten bereits am Vorabend über verschiedene Routen diskutiert und uns schliesslich auf die Variante via Col des Audannes und Sanetschpass geeinigt. Das bedeutete, dass der Morgen mit einem Aufstieg begann. Die Landschaft bestand in dieser Höhe fast nur noch aus verschiedenfarbigen Felsen und überraschend vielen Schneefeldern, hingegen gab es kaum noch Vegetation. Mehr als einmal wähnten wir uns an diesem Tag auf dem Mond oder einem fremden Planeten.

Die Herausforderung des Wochenendes war der Abstieg vom Col des Audannes: Dieser führt über diverse Leitern und in den Fels eingelassene Metallbügel die Felswand hinunter. Während ich mit den Leitern noch halbwegs zu recht kam, hangelte ich mich ungeschickt von einem rutschigen Metallbügel - welche offensichtlich nicht auf meine Schrittlänge oder Kletterfähigkeiten zugeschnitten waren - zum nächsten. Es gab einen Moment, wo ich dachte, dass ich nicht mehr vorwärts und nicht mehr rückwärts komme. Doch in der Felswand stehen bleiben war einfach keine Alternative, so dass ich mit schlottrigen Beinen den Abstieg beendete. Das letzte Mal, als meine Knie so gezittert haben, war während meiner Fahrprüfung, als ich das Auto seitwärts einparkieren sollte. Die ganze Wanderung war weiss/rot ausgeschildert, der Abstieg vom Col des Audannes ist aber meines Erachtens mindestens als T4 einzustufen - doch die Walliser sind vielleicht einfach härter im nehmen als ich.

Nach den Leitern und Metallbügeln gab es eine weitere kritische Passage, die mit einem Seil gesichert war, dann ging es einfach so steil das Schotterfeld hinunter, bis wir die Ebene Grand' Gouilles erreichten, wobei sich die Pfützen als hübsche kleine Seen entpuppten. Nach einem Gegenanstieg kamen wir auf den Arête de l'Arpille. Der Weg auf diesem Grat verlief auf dem Kamm eines hohen Schutthügels, den wir für die überig gebliebene Moräne eines verschwundenen Gletschers hielten.

Stück für Stück verloren wir Höhenmeter bis zur Sanetsch Passhöhe. Von da war es nicht mehr weit bis zum Sanetschstausee. Damit beendeten wir unsere Wanderung wie wir sie angefangen hatten: Auf einer Staumauer. Mit der Gondel fuhren wir hinab nach Gsteig und überquerten dabei die Kantonsgrenze zu Bern.

Die zwei Tage waren mehr als nur Ersatz für die abgesagte Barrhorn Besteigung gewesen, sondern eine geniale Tour und die alpinste und technisch anspruchsvollste Wanderung, die ich in diesem Jahr gemacht hatte.



Wanderinfos:

  • Gewandert: Samstag/Sonntag, 20./21. August 2016
  • Route: Barrage du Rawil - Lac de Tseuzier - Lac de Ténéhet - Col des Eaux Froides - Cabane des Audannes (Samstag); Cabane des Audannes - La Selle - Col des Audannes - Grand' Gouilles - Arête de l'Arpille - Sanetschpass - Sanetsch-Stausee (Sonntag)
  • Unsere Wanderzeit: 4 h (Samstag); 5 h (Sonntag)
  • Distanz: 8,6 km (Samstag); 14,1 (Sonntag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'008 m (Samstag); 705 m (Sonntag)
  • Übernachten: Cabane des Audannes











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